Situation in Myanmar 2019

Armut und Hunger

In Myanmar liegt die nationale Armutsgrenze bei 1.303 Kyats pro Tag (Landeswährung/MMK), das entspricht ca. 1 USD. Obwohl Myanmar mit der Halbierung des Hungers das Millennium-Entwicklungsziel erreicht hat und die Armut seit Anfang des Jahrtausends stark gesunken ist (2004/2005: 48,2% ), lebt nach wie vor fast die Hälfte der Bevölkerung entweder unter (2015: 32,1% ) oder nur knapp oberhalb dieser Armutsgrenze (2015: 14%). Dabei gibt es starke Unterschiede zwischen Stadt und Land: nur 14,5% der städtischen Bevölkerung gelten als arm, aber auf dem Land, wo viele von geringen Einkommen aus der landwirtschaftlichen Produktion leben, sind es noch 38,8%. Zwar ist Ungleichheit in Myanmar vergleichsweise gering, dennoch bestehen vor allem in den Städten, wo die wohlhabendere Bevölkerung zumeist lebt, Einkommensunterschiede. Außerhalb der Städte haben viele Menschen zudem nur begrenzt Zugang zu gesundheitlichen Leistungen oder sauberes Trinkwasser. Seit Beginn des demokratischen Wandels 2011, als der Hungerwert in Myanmar bei einer Skala von 0 (kein Hunger) bis 100 (maximaler Hunger) bei 16,3 lag, hat sich die Situation wieder etwas verschlechtert (Wert 2017: 22,6 ). Zwischen 2014 und 2016 waren laut Statistiken der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) 16,9% der Bevölkerung unterernährt, und ca. 29% der Kinder erreichten nicht die ihrem Alter entsprechende Körpergröße. Vor allem in ländlichen Regionen leben Menschen, deren finanzielle Mittel keine ausreichende und ausgewogene Ernährung ermöglichen. Die andauernde Problematik und erneute Verschlechterung der Situation ist wahrscheinlich unter anderem auf die andauernden bzw. wieder ausgebrochenen Konflikte und Krisen in mehreren Teilen Myanmars zurückzuführen, denn Hunger und Konflikt sind oft eng miteinander verknüpft. Dies zeigt deutlich, welche Wichtigkeit der Friedensprozess in Myanmar sowohl für die Entwicklung des Landes als auch für das Wohlergehen der Bevölkerung hat. Dabei geht es nicht nur um die Situation im Rakhine-Staat, sondern auch um Konfliktbetroffene und Flüchtlinge im Kachin- und im Shan-Staat.

Wirtschaft

Obwohl die Wirtschaft des Landes vor der Machtübernahme durch das Militär 1962 eine der vielversprechendsten in Asien war, haben „fast 50 Jahre Misswirtschaft und unzureichende Investitionen” ihre Spuren im Land hinterlassen. Es gibt allerdings noch weitere Faktoren, die das Potential der wirtschaftlichen Entwicklung in der Vergangenheit eingeschränkt haben: „Wenige Investitionen, begrenzte Integration in globale Märkte, Dominanz staatlicher Unternehmen in wirtschaftlichen Kernbereichen und häufige Phasen makroökonomischer Instabilität sind Schlüsselfaktoren, die Myanmars Wachstumsrate in den letzten Jahrzehnten hemmten.”

Ohne Kollektivgüter wie Straßen oder Krankenhäuser ist die Entwicklung eines Landes schwer möglich. Da diese durch Steuern finanziert werden, braucht der Staat ein effektives Finanzsystem. Innerhalb der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) ist Myanmar allerdings eines der Länder, das am wenigsten Einnahmen durch Steuern generiert. Grund dafür ist einerseits, dass mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus nur geringen Einkommen aus der Landwirtschaft erarbeitet wird. Andererseits mangelt es den Finanzbehörden an Effizienz mit der Folge, dass viele Bürger ihre Steuern gar nicht bezahlen. Ein starkes und stabiles Steuersystem wird von Experten als Voraussetzung für eine effiziente Wirtschaft verstanden. Der deutsche Ökonom Stefan Collignon fordert beispielsweise für Myanmar, die Steuerlast dem Vermögen anzupassen, so dass reichere Bürger die finanzielle Schwäche Ärmerer ausgleichen können und das Steuersystem die wirtschaftliche Produktivität und Effizienz dennoch nicht einschränkt. Darüber hinaus sollte die wirtschaftliche Leistung verbessert werden, damit mehr Finanzvolumen entsteht und Steuereinnahmen generiert werden können. Dezentralisierung mit mehr Befugnissen und größerer finanzieller Verantwortung für regionale statt nationale Entscheidungsträger wäre für ein effizienteres Wachstum des Wirtschaftssektors von Vorteil. Darüber hinaus sollte der infrastrukturelle Zugang der ländlichen Bevölkerung zu finanziellen und anderen Dienstleistungen und Märkten verbessert werden. Laut Weltbank sind 6,5% der arbeitsfähigen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Bevölkerung in Myanmar arbeitslos. Darüber hinaus haben viele der beschäftigten Familien nicht genügend Arbeit und daher ein zu geringes Einkommen. Folglich leihen sich viele Haushalte Geld – vor allem in finanziellen Krisen, wie etwa Krankheit. Aufgrund eines Mangels an regulären Kreditinstitutionen vor allem in den ländlichen Gegenden, wendet man sich oft an informelle Dienstleister, die hohe Zinsen verlangen.

Bildung

Laut World Food Programme schließen immerhin etwa drei Viertel der Menschen in Myanmar die Grundschule ab, aber mehr als die Hälfte der Schüler brechen ihre Ausbildung vor dem Ende der Mittelschule (neunte Klasse) ab. Dies lässt sich auch den Statistiken der Weltbank entnehmen, die sich an Daten aus den Jahren 2014/2015 orientieren: nur etwa 30% aller 20- bis 24-jährigen (in 2015) haben das Bildungsniveau der neunten Klasse oder höher erreicht – für ältere Jahrgänge sind die Werte noch schlechter. Etwa ein Drittel der Kinder werden in Myanmar noch als Arbeitskräfte eingesetzt: in vielen Restaurants in Myanmar, sogar in Yangon, wird man von Kindern bedient; selbst im Straßenbau sind sie zu sehen. So unterstützen Kinder den Haushalt finanziell; gehen sie dagegen zur Schule, werden sie zur finanziellen Belastung ihrer Eltern, da – zusätzlich zu dem Wegfall des Lohnes einer Arbeitskraft – Kosten für Lehr- und Lernmaterialien sowie Transport entstehen. Vor allem Kinder aus armen Familien und ländlichen Gegenden brechen die Schule häufig aus finanziellen Gründen ab. Ein weiteres weitreichendes Problem in Myanmar ist die mangelnde Qualität des staatlichen Bildungssystems. Das in den Schulen und Universitäten angewandte Lernsystem in Myanmar ist nicht effizient, denn der Unterricht konzentriert sich auf das Bestehen der Prüfung, anstatt auf den Aufbau von Kenntnissen und themenübergreifendem Verständnis. Zudem entsprechen viele der Unterrichtsmaterialien nicht dem aktuellen Stand. Wie der Journalist Ross argumentiert, kann sich Myanmar nicht weiterentwickeln, wenn die Bevölkerung nicht entsprechend ausgebildet wird: „Wenn der Unterricht nicht verbessert wird, werden auch die Kompetenzen nicht besser.” An der steigenden Anzahl internationaler Schulen in Yangon zeigt sich, dass alternative Bildungsmöglichkeiten zum staatlichen Schulsystem sehr gefragt sind, zumal diese Schulen nicht länger hauptsächlich von Kindern aus wohlhabenden oder ausländischen Familien besucht werden, sondern von einheimischen Kindern, die trotz hoher Schulgebühren mehr und mehr aus mittelständischen Familien stammen und die Mehrheit der Schüler bilden. Auch höhere Bildung entspricht in Myanmar nicht internationalen Qualitätsstandards. Assistenzprofessor Myint Oo schreibt: „Absolventen haben nicht die Kompetenzen, um in den Fachgebieten zu arbeiten, die sie an der Universität studiert haben.” Häufig sind Absolventen deshalb nach dem Abschluss in nicht-akademischem Arbeitsfeldern tätig, die nicht ihren Studiengängen entsprechen. Die heutige Lehrqualität und Infrastruktur etwa der Yangon Universität, eine ehemalige Prestige-Hochschule, sind Folge jahrelanger Schließung der Universitäten durch das Militär. Bildung und Entwicklung sind direkt miteinander verknüpft: Je höher das Bildungsniveau der arbeitenden Familienmitglieder, desto höher ist auch der Wohlstand eines Haushaltes. Es würde daher zur Entwicklung des Landes und der Steigerung des Bildungsniveaus beitragen, Bildungsinstitute in ländlichen Gegenden besonders zu fördern, um auch der Mehrheit der Bevölkerung, die auf dem Land lebt, Zugang zu hochwertiger Bildung und besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen.